Mit rund 4.000 Windenergieanlagen, 61.500 Photovoltaikanlagen und 454 Biogasanlagen konnte Brandenburg 2023 den höchsten Wert an installierter erneuerbarer Leistung pro Einwohner in Deutschland vorweisen. Das IKEM hat nun in einer Studie die wirtschaftlichen Potenziale dieser Energieinfrastruktur für die Region eingehend untersucht. Dàmir Belltheus Avdic, Fachbereichsleiter am IKEM und Mitautor der Studie, gibt im Interview Einblicke in die Ergebnisse der Wertschöpfungsstudie und erläutert, wie Brandenburg auf vielfältige Weise von der Energiewende profitiert.
Dàmir, die vom IKEM veröffentlichte Studie beleuchtet den Einfluss der erneuerbaren Energien auf Brandenburgs wirtschaftliche Entwicklung. Wie lässt sich der Stellenwert, den der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik bereits heute in der Region hat, erklären?
Die einfache Antwort ist, dass Brandenburg aufgrund seiner Geografie gut für Wind- und Solarenergie geeignet ist. Mit drei Prozent der Bevölkerung, aber über acht Prozent der Fläche Deutschlands ist es weniger dicht besiedelt als der Rest der Republik und verfügt daher über viel freie Nutzfläche. Weitere Gründe sind die Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit des Bundeslandes: Brandenburg hat weniger traditionell gewachsene Industrien als viele andere Bundesländer und hat sich schnell auf neue Formen der wirtschaftlichen Wertschöpfung, insbesondere im Bereich erneuerbare Energien, eingestellt und diese etabliert.
Die Prognosen für die zukünftige Nettowertschöpfung durch erneuerbare Energien in Brandenburg sind aktuell vielversprechend. Welche Faktoren könnten diesen Wachstumszielen im Wege stehen?
Mögliche Engpässe können technischer Natur sein, etwa Probleme mit den Lieferketten. Schon heute sehen wir außerdem Herausforderungen bei der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte. Hinzu kommen Risiken durch ein regulatorisches Umfeld, das Investitionen und den Betrieb von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien nicht ausreichend fördert. Die Regierungen auf Bundes- und Länderebene können diese Risiken mindern, zum Beispiel indem sie geeignete Aus- und Weiterbildungsbildungsprogramme anbieten, Voraussetzungen für eine zügige Planung der Anlagen schaffen und ein stabiles förderpolitisches Umfeld gewährleisten.
Die Studie stellt fünf Modellprojekte aus Brandenburg vor. Welche wirtschaftlichen und sozialen Effekte haben diese „Transformativen Vorhaben“ für die Bevölkerung und die Kommunen vor Ort?
Der Windwärmespeicher Nechlin, der Klimapark Steinhöfel, das energieautarke Dorf Feldheim, und die Windparks Göllnitz-Lieskau-Rehain und Kantow, zeigen eindrucksvoll, wie kommunale Wertschöpfung durch erneuerbare Energien gefördert wird. Durch die Ansiedlung von Windparks und anderen Anlagen profitieren die Gemeinden mittels Gewerbesteuereinnahmen, Pachtzahlungen, Kompensationsmaßnahmen und Einnahmen nach § 6 EEG. Diese finanziellen Mittel stärken die kommunalen Haushalte und ermöglichen Investitionen in lokale Infrastruktur und soziale Projekte. Zudem schaffen die Vorhaben Arbeitsplätze vor Ort, führen zur Vergabe von Aufträgen an regionale Unternehmen sowie zu niedrigeren Strom- und Wärmepreisen für die Bevölkerung. Insgesamt tragen diese Projekte entscheidend zur wirtschaftlichen Stabilität und Entwicklung der Region bei.
Die Wasserstoffindustrie wird als ein bedeutender zukünftiger Wirtschaftsfaktor gesehen. Welche Rolle spielt Wasserstoff bei der weiteren Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Brandenburg?
Wasserstoff ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer dekarbonisierten Zukunft. Angesichts der Stärken Brandenburgs bei der Erzeugung erneuerbarer Energien sollte das Land auch bei der Herstellung und Nutzung von Wasserstoff eine Vorreiterrolle einnehmen – u.a. durch eine sehr gute Anbindung an das in Deutschland entstehende Wasserstoff-Kernnetz. Die daraus resultierenden industriellen Aktivitäten werden dem Land Brandenburg ein hohes Maß an Wertschöpfung, sowie zusätzliche Steuereinnahmen und Arbeitsplätze bringen. Außerdem kann sich eine bedeutende Exportindustrie entwickeln.
Der Ausbau der Stromnetze bis 2045 wird ebenfalls als wichtiger Wertschöpfungstreiber genannt. Welche Maßnahmen sind erforderlich, um sicherzustellen, dass die Infrastruktur mit dem wachsenden Bedarf Schritt halten kann?
Die Schwierigkeit, Strom über große Entfernungen zu transportieren, ist ein altbekanntes Problem in jedem Energiesystem, das versucht, die einzelnen Sektoren durch Elektrifizierung zu dekarbonisieren. Deutschland mit seiner bedeutenden erneuerbaren Stromerzeugung im Norden und den großen Industrie- und Ballungszentren im Westen und Süden ist da keine Ausnahme. Der Ausbau der Stromnetze wird vor allem durch politische Bedenken gebremst, die so schnell wie möglich ausgeräumt werden sollten.
Die Arbeit des IKEM zeichnet ein positives Bild der regionalen Energiewende. Warum ist der Fokus auf die Potenziale und Chancen wichtig?
Positiver Wandel bleibt dennoch Wandel, und wir leben in einer Zeit voller Risiken und Unsicherheiten. Das bedeutet, dass wir die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen müssen, auch wenn sie abgelenkt sind, Angst um ihre eigene Zukunft und die ihrer Familien haben oder frustriert über die Ungerechtigkeiten im aktuellen System sind. Doch Angst und Wut sind keine geeigneten Antriebskräfte für positive Veränderungen und sollten meiner Meinung nach nicht die Politik leiten. Eine erfolgreiche Transformation erfordert eine positive und optimistische Vision. Daher setzen wir am IKEM auf eine Wissenschaftskommunikation, welche die Chancen, die aus dem Kampf gegen den Klimawandel erwachsen, hervorhebt. Wertschöpfung ist ein Weg zu Wohlstand, den die Menschen intuitiv verstehen, und deshalb ein zentraler Aspekt, den wir stärker betonen müssen.