Interview mit Dr. Alexandra Appel

„Wir müssen den ländlichen Raum als Wohn- und Wirtschaftsstandort stärken.“

Mobilität ist eine Grundvoraussetzung für ökonomische und soziale Teilhabe, doch insbesondere auf dem Land steht die Gestaltung eines inklusiven und nachhaltigen Verkehrsangebots vor besonderen Herausforderungen. Im Interview mit Dr. Alexandra Appel, Leiterin des Fachbereichs Mobilität am IKEM, sprechen wir über Lösungsansätze, das Konzept des „ländlichen Raums“ und die Ziele des im Oktober gestarteten IKEM-Projekts MobiLR. 

Welche Bedeutung hat Mobilität für unseren Alltag? 

Trotz zunehmender Digitalisierung müssen und wollen wir uns von A nach B bewegen, um Zugang zu Bildungseinrichtungen, Gesundheitsdienstleistungen und Arbeitsplätzen zu haben sowie um am sozialen Leben teilnehmen zu können. Mobilität ist damit eine Grundvoraussetzung für die Daseinsvorsorge und die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen – deshalb muss sie unabhängig vom Wohnort gewährleistet werden. Das ist insbesondere außerhalb der Ballungszentren nicht immer der Fall.  

Welche Herausforderungen gibt es im ländlichen Raum? 

Als Geographin muss unbedingt darauf hinweisen, dass das Konstrukt “ländlicher Raum” nicht abgegrenzt betrachtet werden kann. Diese Regionen sind immer mit anderen Orten, häufig Orten hoher Zentralität, vernetzt und verbunden.  

Ungeachtet dessen sind die Distanzen in ländlichen Räumen oft größer, wodurch die Taktung sowie die Dichte von Haltestellen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) häufig nicht ausreichend sind. Auch Radwege sind nicht überall vorhanden. Dies führt dazu, dass viele Menschen auf das Auto angewiesen sind. 60 Prozent aller Strecken auf dem Land werden mit Autos oder anderen Kraftfahrzeugen zurückgelegt und der CO2-Fußabdruck ist auf dem Land pro Person fast um ein Viertel höher als in den Städten. Gerade jüngere oder ältere Menschen, die nicht selbst fahren können, sind damit in ihrer Mobilität einschränkt. 

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Finanzierung: Ein attraktiver ÖPNV oder andere Mobilitätsangebote erfordern erhebliche finanzielle Mittel, die in ländlichen Regionen schwerer zu sichern sind. Zusätzlich dazu spielen sozio-ökonomische und demographische Strukturen eine wesentliche Rolle. Strukturwandel, Alterung und Abwanderung beeinflussen Bedürfnisse und Angebote von Mobilität stark.  

Frauenmobilität ist ebenfalls ein gesondertes und bisher zu wenig beachtetes Thema. Da die Care Arbeit weiterhin vornehmlich von Frauen übernommen wird, sind deren Wege häufig komplexer und damit weniger leicht mit schlecht getakteten ÖPNV-Angeboten zu erledigen sind. 

Gibt es Lösungsansätze? 

Überall in Europa werden Ideen für innovative ländliche Mobilitätsangebote erprobt und umgesetzt. Im Bereich ÖPNV wird oftmals versucht, Kosten einzusparen – etwa durch Rufbussysteme mit Online-Buchungsfunktion oder mittels hochautomatisierten Fahrzeugen, die perspektivisch ohne Fahrpersonal auskommen sollen. Ebenso werden neue Ertragsmöglichkeiten gesucht: Beispielsweise könnten Elektrobusse mit ihren großen Batterien in Zukunft das Stromnetz stabilisieren und dafür Geld von den Netzbetreibern erhalten. 

Auch der Radverkehr bietet auf dem Land enorme Potentiale – sofern die nötige Infrastruktur bereitgestellt wird. Insbesondere die Niederlande, Belgien und Dänemark haben Konzepte für den Radverkehr, die auch den ländlichen Raum in den Blick nehmen und so eine sichere und Auto-unabhängige Mobilität ermöglichen. Hier können sich andere Länder ein Beispiel nehmen.  

Warum beschränken sich solche Lösungen oft auf bestimmte Länder oder Regionen? 

Genau diese beiden Fragestellungen wollen wir im Rahmen unseres neuen Projekts MobiLR klären. Dass die Mobilität im ländlichen Raum verbesserungswürdig ist, steht außer Frage. Doch die politische Forderung nach besseren Angeboten scheitert oftmals am fehlenden Wissen über effektive Maßnahmen und deren Umsetzung. Die EU-Initiative SMARTA-NET hat etwa herausgearbeitet, dass es in den wenigsten europäischen Ländern überhaupt Richtlinien oder Ansätze für ländliche Mobilität gibt. 

In MobiLR untersuchen wir daher die rechtlichen und planerischen Grundlagen für nachhaltige und wohnortunabhängige Mobilität im ländlichen Raum. So wollen wir einen systematischen Überblick über Leitlinien, Vorgaben und Instrumente auf EU-Ebene und in 29 Ländern schaffen. Fünf Länder betrachten wir dabei genauer. Dort wollen wir die Umsetzungsprozesse analysieren und so Handlungsempfehlungen für verschiedene Zuständigkeitsbereiche und Verwaltungsebenen ableiten. 

Wie sieht die Zukunft ländlicher Mobilität aus? 

Hoffentlich inklusiver, nachhaltiger und weniger abhängig vom motorisierten Individualverkehr! Dafür werden verbesserte Mobilitätsangebote allein aber nicht ausreichen. Vielmehr müssen wir den ländlichen Raum als Wohn- und Wirtschaftsstandort stärken und insgesamt attraktiver machen. 

Kontakt

IKEM – Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.