Streamline: Grenzen im europäischen Bahnverkehr abbauen

Ein Zugunfall in Luxemburg zeigt auf tragische Weise, dass Verbesserungen im europäischen Eisenbahnzulassungsprozess unerlässlich sind. Das IKEM-Projekt Streamline möchte schnellere und kostengünstigere Verfahren erreichen. So soll der Zugverkehr sicherer und attraktiver gestaltet werden, damit das Klimaschutzpotential dieses Verkehrsträgers genutzt werden kann.

Der Eisenbahnverkehr ist gegenüber Autos und Flugzeugen in vielen Umweltaspekten überlegen. Insbesondere auf längeren Strecken versprechen Züge eine höhere Energieeffizienz sowie geringere Schadstoff- und Treibhausgas-Emissionen. Dennoch dominiert der Straßenverkehr das Transportwesen sodass 2014 lediglich 6,5 Prozent (Personenverkehr) bzw. 11,7 Prozent (Frachtverkehr) des Verkehrsaufkommens in Europa auf die Schiene entfielen 1. Die Gründe hierfür sind vielfältig, aber ein wichtiger Aspekt ist sicherlich die fehlende Interoperabilität der nationalen Eisenbahnsysteme. Während Autos und LKW prinzipiell überall in Europa fahren dürfen, benötigen Züge technische Systeme und Zulassungen die den jeweiligen nationalen Bestimmungen und Zugsicherungssystemen entsprechen. Ein grenzüberschreitender Schienenverkehr wird daher von zahlreichen bürokratischen Hürden begleitet und ist oftmals nur unter dem teuren Einsatz von Mehrsystemtraktionen möglich. Entsprechend existieren derzeit nur vereinzelt attraktive transeuropäische Mobilitätsangebote.

Die Stärkung des Schienenverkehrs durch die Harmonisierung nationaler Regelungen und Zulassungsprozesse könnte deshalb einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Einen Ansatz zur Vereinheitlichung der Zugsicherungstechnik stellt das seit den 1990er-Jahren entwickelte European Train Control System (ETCS) dar. Der Ausbau von ETCS wird in vielen EU-Mitgliedsstaaten vorangetrieben, jedoch bestehen weiterhin große Lücken im System. Dies wird durch verschiedene Unfälle auf besonders tragische Weise deutlich. Zuletzt ereignete sich Mitte Februar beim luxemburgischen Bettemburg ein schwerer Zugunfall. Ein Güterzug (Nr. 4980) und ein Personenzug (TR88807) stießen auf der Strecke zwischen Luxemburg und dem französischen Thionville frontal zusammen. Offenbar hatte der Zugführer des Personenzuges zuvor ein rotes Haltesignal überfahren – er starb bei beim Zusammenstoß; vier Passagiere wurden schwer verletzt. Bereits 2006 ereignete sich auf dem Streckenabschnitt ein schwerer Unfall mit sechs Toten.

Die luxemburgische Bahngesellschaft Chemins de Fer Luxembourgeois (CFL) erklärte bei einer Pressekonferenz, dass das Unglück mit dem Sicherheitssystem ETCS wahrscheinlich hätte verhindert werden können
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. So können durch ETCS geführte Züge bei zu hoher Geschwindigkeit oder beim Überfahren eines Haltsignales zwangsgebremst werden. ETCS war sowohl im Personenzug als auch auf der Gleisstrecke installiert, jedoch kam das leistungsfähige System nicht zum Einsatz, da die Zulassung der Eisenbahnbehörde für den französischen Streckenabschnitt fehlte. Aus diesem Grund muss das System bei grenzüberschreitenden Fahrten bereits bei Fahrtbeginn am Bahnhof Luxemburg ausgeschaltet werden.

Der Unfall in Luxemburg zeigt, dass die Harmonisierung des europäischen Bahnverkehrs dringend vorangetrieben werden muss. Allen Bestrebungen zum Trotz, existieren verschiedene Entwicklungsstufen von ETCS ebenso wie nationale Abänderungen. Auch die Zulassungsverfahren im Zusammenhang mit ETCS laufen oftmals schleppend. Eine komplexe Akteurskonstellation sowie unzureichende Marktinformationen führen zu unnötig langen und kostspieligen Zulassungsverfahren.

Das erhebliche Vereinfachungs- und Beschleunigungspotential in Bezug auf ETCS adressiert das IKEM mit dem Forschungsprojekt Streamline. Gegenstand der Untersuchung war die Evaluation des Zulassungsprozesses von ETCS-Fahrzeuggeräten durch eine Befragung der am Zulassungsverfahren beteiligten Stakeholder. Die Auswertung der Antworten verdeutlichte, dass die spezifischen nationalen Besonderheiten bei der Zulassung zeitnah abgeschafft und in einheitliche europäische Standards überführt werden müssten. Ein auf Basis solcher Kriterien zugelassener Zug sollte in jedem EU-Mitgliedsstaat auf Strecken mit vergleichbarer Infrastruktur (und vorhandenem ETCS) fahren dürfen. Des Weiteren sollten die am Zulassungsprozess beteiligten nationalen Stellen (DeBos und AssBos) einem Vergleich unterzogen werden, um vorhandene Kapazitäten im Sinne eines zügigen Verfahrens optimal zu nutzen. Die gewonnen Ergebnisse werden in Kürze publiziert und sollen der Diskussion zur Verbesserung des Zulassungsprozesses neue Impulse bringen.

Dies ist auch für die Arbeit der reformierten Europäischen Eisenbahnagentur (AfR – vormals ERA) relevant. Mit der sogenannten technischen Säule des vierten Eisenbahnpakets wurde 2016 das Zulassungsverfahren für Eisenbahnfahrzeuge modifiziert. So fällt die Zulassung nun erstmals (auch) in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Eisenbahnagentur. Bei Zulassungen für das Gebiet nur eines Mitgliedsstaates der EU gilt eine gleichberechtigte Zuständigkeit der europäischen Behörde wie auch der nationalen Behörden. Bei Fahrzeugzulassungen für mehr als einen Mitgliedsstaat eine ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Eisenbahnagentur. Allerdings hat die Agentur derzeit keine Sanktionsmechanismen, wenn Mitgliedsstaaten weiterhin nationale Besonderheiten bei der Zulassung anwenden.

Dieser Rechtsrahmen sollte im Hinblick auf die Entwicklung des Zulassungsverfahrens fortlaufend evaluiert werden. Hierzu plant das IKEM entsprechende Streamline-Nachfolgeprojekte. Ziel muss es sein, die sich bietenden Chancen für ein europaweit stärker harmonisiertes Zulassungsverfahren zu nutzen ohne den Prozess durch einen zusätzlichen Akteur zu verkomplizieren. Nur so kann der grenzüberschreitende Schienenverkehr gestärkt und das Klimaschutzpotential dieses Verkehrsträgers bestmöglich genutzt werden.

Autoren:
Malte Preuss / Dennis Nill
Tel. +49 (0)30 408 18 7010
malte.preuss@ikem.de / dennis.nill@ikem.de

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