Rund 330.000 Haushalte sind in Deutschland jedes Jahr von Stromsperren betroffen, weshalb unter anderem der Einsatz von Prepaid-Zählern diskutiert wird. Trotz Kritik sieht das IKEM in den Zählern eine echte Alternative, da sie unter bestimmten rechtlichen Bedingungen einen Ausgleich zwischen dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für stromarme Haushalte und den Grundrechten der Grundversorger schaffen können.
Wegen ausbleibenden Zahlungen waren 2015 mehr als 330.000 Haushalte in Deutschland von Stromsperren, also der erzwungenen Unterbrechung der Stromlieferung seitens des Versorgungsunternehmens, betroffen[1]. Eine parlamentarische Anfrage von Michael Efler, Stefanie Fuchs und Harald Wolf (Die Linke) im Berliner Abgeordnetenhaus ergab, dass 2016 in Berlin in rund 17.800 Haushalten der Strom abgestellt wurde[2].
Um die sozialen Härten eines Ausschlusses von der Energieversorgung zu vermeiden, werden dringend alternative Lösungen benötigt. In diesem Zusammenhang werden Prepaid-Konzepte als eine Möglichkeit diskutiert, mit der Zahlungsausfälle vermieden und sowohl Stromkunden als auch Energieversorgern größere Sicherheiten geboten werden können.
Um die Umsetzbarkeit dieser Konzepte zu untersuchen, verfasste das IKEM gemeinsam mit der Becker Büttner Held Consulting AG und der Energierechtskanzlei Becker Büttner Held ein bisher unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des nordrheinwestfälischen Umweltministeriums. Darin kommt das IKEM zu dem Ergebnis, dass Prepaid-Zähler unter bestimmten Voraussetzungen positiv zu bewerten sind.
Zu diesen Voraussetzungen zählt insbesondere eine rechtliche Einhegung, die derzeit nicht gegeben ist. So ist die derzeitige Regelung der Stromsperre in der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) verfassungsrechtlich bedenklich, da sie dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht ausreichend Rechnung trägt. Bei einer Anpassung des Rechtsrahmens und bei angemessenem Einsatz könnten Prepaid-Zähler allerdings einen guten Ausgleich zwischen den Interessen von Versorgern und Kunden darstellen.
Prepaid-Zähler werden von Aktivisten wie dem Berliner Energietisch kritisch gesehen, da mit ihnen eine soziale Stigmatisierung ärmerer Haushalte vorangetrieben und deren finanzielle Belastung sogar noch verschärft würde. Nutzen würde das Modell lediglich den Energiekonzernen, die sich nicht mehr mit dem Forderungsmanagement befassen müssten. So würde das Problem Energiearmut nur kaschiert und mangels dokumentierbarer Stromsperren der politischen Kritik entzogen[3].
Der Berliner Energietisch leitet daraus Forderungen ab, die aus Sicht des IKEM abzulehnen sind oder zu kurz greifen: Die zentrale Forderung „Abklemmungen müssen politisch verhindert, also gesetzlich verboten werden“ ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nämlich gleichfalls bedenklich, da sie die Grundrechte der Stromversorger negiert und die darin liegende Forderung nach „Strom frei Haus“ klimapolitisch kaum vertretbar ist. Wichtig wäre hingegen eine rechtliche Anpassung für den gesamten Komplex „Stromsperre“, die einen Ausgleich zwischen Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums der Bewohner stromarmer Haushalte und den Grundrechten der Grundversorger schafft. Dabei können Prepaid-Zähler eine wichtige Rolle spielen.
Zur Bekämpfung von Energiearmut fordert der Energietisch die „Entschuldung energiearmer Haushalte“ und „Unterstützung bei der Anschaffung stromsparender Geräte“. Zweifellos sind das wichtige flankierende Maßnahmen zur Sicherstellung der individuellen Versorgungssituation und der Energieeffizienz. Beachtenswert ist jedoch, dass die Ursachen für Überschuldung oftmals weniger an zu hohem Energieverbrauch sondern vielmehr am sehr problematischen Inkassorecht, fehlender sozialer Rechtsberatung und fehlendem proaktiven Tätigwerden der Sozialämter liegen. Insbesondere letztere bedürfen dazu auch einen klareren Auftrag und einen geeigneteren Rechtsrahmen. Hier besteht im Sinne aller Beteiligten dringender Handlungsbedarf!
Die weitere Forderung nach einer Anhebung von Sozialleistungen und Wohngeld geht zwar in die richtige Richtung, da die Regelsätze in der Tat zu niedrig gestaltet sind. Problematischer ist jedoch, dass Strom überhaupt noch Teil des Regelsatzes ist – eine gesonderte Abrechnung wie bei Miete und Heizung wäre hier anzustreben. Sozialämter könnten dann die Überweisungen direkt an den Grundversorger tätigen und würden (wie im Räumungsverfahren um Mietwohnungen) von den Zivilgerichten frühzeitig und routinemäßig auf drohende Stromsperren hingewiesen. Der Einsatz von Prepaid-Zählern könnte dabei gewährleisten, dass das Sozialamt nur einen Grundbedarf an Strom zahlt, Haushalte dennoch je nach Bedarf Strom zukaufen können.
Der Energietisch weist drauf hin, dass Haushalte mit Prepaid-Zählern in Großbritannien stärker belastet würden. Zum Beispiel durch den Einbau neuer Zähler können den Stromversorgern Kosten entstehen, die sie auf die Kunden umgelegt werden. Gleichzeitig entfällt mit Prepaid-Zählern aber das Risiko eines Zahlungsausfalls und die mit dem Forderungsmanagement verbundenen Kosten. Entsprechend muss der Gesetzgeber durch entsprechende Begründungs- und Nachweispflichten dafür sorgen, dass die Preisgestaltung bei Prepaid-Tarifen fair und transparent erfolgt, um eine Verschlechterung der Versorgungssituation für ärmere Haushalte zu verhindern. Die für die Deckung des Grundbedarfs zuständigen Sozialämter könnten auf Basis garantierter jährlicher Abnahmemengen und Zahlungssicherheit zudem günstigere Strompreise mit Versorgern aushandeln. Diese könnten über spezielle Tarife auch den betroffenen Hauhalten zu Gute kommen.