Am 10. Juni hat die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Damit ist die Debatte um die richtigen Fördermechanismen und Einsatzgebiete des mit großen Hoffnungen versehenen Gases jedoch längst nicht beendet. Für Dr. Ingrid Nestle (MdB, Bündnis90/Die Grünen) bleibt der erhoffte Durchbruch für den Klimaschutz aus, sie moniert die fehlenden Vorgabe zu den Einsatzorten des knappen Gases. Dr. Joachim Pfeiffer (MdB, CDU) hält dagegen: Gerade durch den sektorenoffenen Ansatz könne man Wasserstoff in großen Mengen produzieren und den Markthochlauf ermöglichen.
Wasserstoff als Schlüssel für die Energiewende
Dr. Joachim Pfeiffer (MdB), CDU
Die nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung unterstreicht: Wasserstoff soll als vielfältig einsetzbarer Energieträger eine Schlüsselrolle bei der Energiewende einnehmen. Es ist richtig und wichtig, die Einsatzmöglichkeiten vom Gebäude- & Wärmebereich über den Verkehrssektor bis zur energieintensiven Industrieproduktion anzugehen. Nur mit einem sektoroffenen Ansatz kann sich nachfrageseitig ein entsprechender Markt entwickeln, Wasserstoff im großen Rahmen produziert und durch die entsprechenden Skaleneffekte schon bald wirtschaftlich und wettbewerbsfähig. Dafür braucht es neben der Forschung bereits jetzt konkrete Projekte.
Verlässliche große Mengen an qualitativ hochwertigem und geeignetem Wasserstoff sind eine Grundvoraussetzung. Doch die deutschen Mengen an grünem Wasserstoff aus Solar- und Windenergie decken den Bedarf noch nicht und sind mit mindestens dem 10-fachen Preis zu grauem Wasserstoff nicht wettbewerbsfähig. Damit Wasserstoff wirtschaftlich wird, ist deshalb die Kostendegression bei Technologien voranzutreiben. Dafür braucht es beim Markthochlauf technologieoffene Ansätze. Klimaneutraler blauer, türkiser und ggf. weißer Wasserstoff sind zurzeit deutlich schneller und kostengünstiger verfügbar. Nur mit ihnen werden mittelfristig die nachfrageseitig benötigten Mengen erreicht und ein klimapolitischer Effekt erzielt. Die Wirtschaft erhält damit den notwendigen Anstoß und das „Henne-Ei-Problem“ bei den notwendigen Investitionen in die Umrüstung industrieller Prozesse sowie den Aufbau der Infrastruktur wird gelöst. Gleichzeitig ist dieser technologieoffene Markthochlauf Voraussetzung, um die benötigten Mengen von 500 bis 1.000 TWh pro Jahr oder sogar noch mehr für eine fast vollständige Klimaneutralität im Jahr 2050 zu produzieren.
Die bereits vorhandenen Standortvorteile wie die bestehende Gasinfrastruktur gilt es zu nutzen und für das Wasserstoffzeitalter weiterzuentwickeln. So lassen sich Neubaubedarf und Kosten reduzieren. Als globaler Vorreiter bei Power-to-Gas-Technologien kann Deutschland außerdem einen wichtigen technologischen Beitrag leisten und die enormen Potenziale im Export heben.
Die Bundesregierung hat ein ambitioniertes Programm vorgelegt und unterstreicht, dass der Schlüssel in internationalen, diversifizierten Ansätzen und Kooperationen liegt. Deutschland ist und bleibt ein Energieimporteur. Die nationale Wasserstoffstrategie ist dementsprechend eng mit der europäischen zu verzahnen. Dazu zählt unter anderem der Aufbau einer europäischen Wasserstoff-Infrastruktur und eines Wasserstoff-Tankstellennetzes. So werden Erzeugung, Logistik und Handel kosteneffizient. Außerdem sind Kooperationen über die europäischen Grenzen hinaus zu intensivieren. Potenziale bieten unter anderem die MENA-Länder. Neben den zusätzlichen Milliarden aus dem Wachstumspaket für den deutschen Markthochlauf steht deshalb eine beträchtliche Summe für internationale Partnerschaften bereit.
Die Nationale Wasserstoffstrategie kann nicht nur Katalysator für eine Modernisierungsoffensive der deutschen Wirtschaft sein. Richtig umgesetzt, ist sie der Schlüssel zur Erreichung der Klimaziele.
Wasserstoffstrategie der Bundesregierung beantwortet die entscheidenden Fragen nicht
Dr. Ingrid Nestle (MdB), Bündnis 90/Die Grünen
Zurecht betont die Bundesregierung die vielen Vorteile von Wasserstoff. Aber eine Strategie ohne Entscheidungen in den zentralen Punkten ist keine Strategie. Zunächst die Menge: Am liebsten möchte die Regierung in allen Sektoren viel Wasserstoff einsetzen, um damit ihre klimapolitischen Versäumnisse wieder ausbügeln. Die angestrebte Wasserstoffmenge von rund 100 TWh Wasserstoff bis 2030 wird dafür jedoch nicht ausreichen. Hinzu kommt: Bei über 80 % der Menge bleibt unbeantwortet, wo das energieintensive Gas eigentlich herkommen soll. Transportiert via neuer Pipelines, in Schiffen bei minus 253°C, zu Methan oder zu Ammoniak gewandelt!? Und selbst für die restliche Menge aus heimischer Produktion reicht das Zubau-Tempo bei den Erneuerbaren nicht aus. Aktuell wird noch nicht einmal der Kohleausstieg abgesichert, geschweige denn der Einstieg in grünen Wasserstoff ermöglicht.
Immer öfter erleben wir, dass Politiker glauben, mit dem lauten Ruf nach Wasserstoff hätten sie ihren Beitrag zum Klimaschutz schon geleistet. Aber Wasserstoff aus fossilem Strom oder Gas ist klimapolitisch nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich. Wer gegen Windstrom agitiert, kann nicht glaubwürdig für eine zukunftsfähige Wasserstoffstrategie sein. Denn weder ist blauer Wasserstoff klimaneutral, noch steht türkisener Wasserstoff in den nächsten Jahren in größeren Mengen zur Verfügung, noch wird das Ausland alle unsere Probleme für uns lösen und bis 2030 kostengünstig große Mengen Wasserstoff bei uns anlanden – zumal laut IEA die Transportkosten das dreifache der Produktionskosten betragen könnten.
Wasserstoff wird kostbar bleiben. Die Herausforderung ist nicht der Verbrauch, hier sind die technischen Lösungen weit entwickelt, sondern die erneuerbare Herstellung. Deshalb brauchen wir die Steuerung der Politik, damit Wasserstoff vor allem dort eingesetzt wird, wo es kaum andere Lösungen für Klimaschutz gibt. Dazu gehören bestimmte Prozesse der Industrie, der Flugverkehr oder auch seltene Situationen in der Stromversorgung. Nach endlosen Diskussionen einigten sich die Ministerien in diesem Punkt mutlos darauf, keine Entscheidung zu treffen. Dabei ist es fahrlässig, die begrenzten Mengen an grünem Wasserstoff der Zahlungsbereitschaft von SUV-Fahrern zu überlassen. Da geht die Industrie, die zwingend Wasserstoff für ihre Klimaschutzstrategie benötigt, am Ende leer aus.
Auch fehlen in der Strategie Ideen, Wasserstoff dann und dort zu produzieren, wo erneuerbarer Strom vorhanden ist. Auf meine Nachfrage hin schrieb die Regierung, das müsse noch geklärt werden. Dabei haben wir mit der Grünen Wasserstoffstrategie schon Lösungsvorschläge vorgelegt. Wasserstoff wird nicht zu Erfolgsgeschichte, indem man das Blaue vom Himmel verspricht. Wasserstoff wird zur Erfolgsgeschichte, indem man die Erneuerbaren zügig ausbaut und seine Stärken bezüglich Flexibilität und Speicherbarkeit voll ausschöpft.