Mit dem Beschluss zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Investitionsausgleich gab es in den vergangenen Wochen maßgebliche Entscheidungen zur Zukunft der deutschen Atomkraftwerke. Das IKEM fordert in der folgenden Stellungnahme, dass nun auch die verbleibenden rechtlichen Konflikte um den Atomausstieg beigelegt werden sollten.
Am 15. Dezember 2016 wurde der Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Der Entwurf setzt die Einigungen der Bundesregierung unter Einbezug der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und der Betreiberkonzerne der Atomkraftwerke vom Oktober dieses Jahres um. Eine Runde aus zuständigen Staatssekretären und dem Chef des Bundeskanzleramts Peter Altmaier hat sich darin mit den Konzernen E.ON, Vattenfall, RWE und EnBW auf eine Befreiung für die Haftung für Zwischen- und Endlagerung von Altlasten geeinigt. Im Gegenzug wurde eine Zahlung von 23,342 Milliarden Euro seitens der Konzerne in einen staatlichen Fond vereinbart, der für die Zwischen- und Endlagerung eingerichtet wird. Des Weiteren wurde vereinbart, dass die Zuständigkeit und Kosten für die Stilllegung und den Rückbau der Kernkraftwerke sowie für die Verpackung des radioaktiven Abfalls bei den beteiligten Konzernen verbleibt.
Diese Einigung kann als historische Zäsur betrachtet werden, da sowohl der Staat stellvertretend für eine mehrheitlich atomskeptische Zivilgesellschaft als auch die Betreiberkonzerne der Kernkraftwerke einen großen Schritt aufeinander zugegangen sind. Die Bundesregierung mildert das Verursacherprinzip ab und erhält dafür Insolvenzsicherheit für die in den Fond eingezahlten Mittel. Die Betreiber geben die Verfügungsbefugnis für gebildete Rückstellungen ab und erhalten so durch die Zahlung eines Risikoaufschlags eine Enthaftung für Zwischen- und Endlagerung von Altlasten. In Anbetracht der Brisanz, die der Thematik seit Jahrzehnten innewohnt, muss dies als Chance auf Befriedung eines der großen gesellschaftspolitischen Konflikte dieser Zeit bewertet werden. Um diese zu wahren sollte eine größtmögliche Transparenz bei der Umsetzung des Kompromisses angestrebt werden.
In diesem Kontext muss jedoch auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur 13. Novelle des Atomgesetzes betrachtet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 06. Dezember 2016 der Verfassungsbeschwerde der Kernkraftwerksbetreiber gegen die dreizehnte Novelle des Atomgesetzes in Teilen zugestimmt. Demnach wird das Eigentum der Betreiberkonzerne durch die im Jahr 2011 beschlossene Beschleunigung des Ausstiegs aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie beeinträchtigt. Der zuständige erste Senat des Bundesverfassungsgerichts beschied dem Gesetz jedoch weitgehend im Einklang mit dem Grundgesetz zu stehen. Die Regelungen des Gesetzes begründen demnach keine Enteignung, wie es von den Betreiberkonzernen ausgelegt wurde. Der Senat hat in der Urteilsbegründung verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, die der Gesetzgeber zur Beseitigung der festgestellten Verfassungsverstöße anwenden kann. Demnach sind eine Verlängerung der Laufzeit einzelner konzerneigener Kernkraftwerke, eine gesetzliche Sicherstellung zur Weitergabe von nicht mehr verstrombaren Reststrommengen an Konzerne mit überschüssigen Verstromungskapazitäten oder ein angemessener finanzieller Ausgleich denkbar. Eine Verlängerung der Laufzeiten für einzelne Kernkraftwerke kann allerdings in Anbetracht der politischen und gesellschaftlichen Situation als unwahrscheinlich angenommen werden. Folglich ist eine finanzielle Entschädigung, die verringert auch im Falle einer Weitergabe von Reststrommengen erfolgen müsste, unausweichlich. In Abhängigkeit verschiedener Annahmen für die Gestehungskosten für Strom in Kernkraftwerken und für durchschnittliche Stromgroßhandelspreise, die den Ausgleichszahlungen zugrunde liegen, wird die Höhe der finanziellen Entschädigungen auf einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag geschätzt. Bei einer aus Sicht der Bundesregierung pessimistischen Kostenschätzung für den Ausgleichsfall ohne Weitergabe von Reststrommengen kann die Entschädigungshöhe jedoch auch einen einstelligen Milliardenbetrag erreichen.
Aus diesem Grund sollte die Rücknahme sämtlicher Klagen und Verzicht auf weitere Klagen der Atomkonzerne gegen den Bund und die Länder elementarer Bestandteil der Vereinbarung sein. Die bisherige Einigung zielt jedoch lediglich auf Rücknahme und Verzicht entsorgungsrelevanter Klagen ab. So ist im Gesamtkomplex nachträglich eine Verschiebung der finanziellen Zuordnung durch die Hintertür möglich, da die Betreiber weiterhin Schadensersatz einklagen können. Nach Angaben der Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grünen könnten die Betreiberkonzerne im Erfolgsfall die Hälfte der Einzahlungen in den Fond wieder einspielen. Dadurch werden die ausgehandelten Vereinbarungen sowohl in Bezug auf die finanzielle Aufteilung als auch hinsichtlich einer gesamtgesellschaftlichen Befriedung des Konflikts konterkariert. Dies zeigt sich an der wieder aufbrechenden Diskussion nach dem BVerfG-Urteil. Jede weitere Klage wird erneut den Kompromiss in Frage stellen und damit letztlich auch dem Ansehen der Betreiberkonzerne schaden.
Bereits vor dem BVerfG-Urteil hat Dr. Olaf Däuper, Partner der Rechtsanwaltskanzlei Becker Büttner Held, als Sachverständiger im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Bundestages zum jüngst beschlossenen Gesetzesentwurf eine vollständige Rücknahme aller Klagen sowie einen Verzicht auf weitere Klagen gegen Bund und Länder als Grundvoraussetzung für den Kompromiss zwischen Bundesregierung und Betreiberkonzernen gefordert. Aufgrund der aufgezeigten Argumentation schließt sich das IKEM dieser Einschätzung an. Nur so kann der Kompromiss langfristig halten und die einmalige Chance gewahrt werden, einen jahrzehntealten gesellschaftspolitischen Konflikt zu befrieden.
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Autor:
Felix Vorwerk