Regulatorische Anknüpfungspunkte für die Sektorenkopplung

Aus Sicht des IKEM kann die Sektorenkopplung ihre Potenziale nur dann voll entfalten, wenn sie vorwiegend regional, d.h. auf Verteilernetzebene implementiert wird und ohne Förderung auskommt. Das IKEM zeigt auf, welche Ansätze es bereits gibt und welche Anpassungen des Rechtsahmens hierfür erforderlich sind.

Während sich die Anstrengungen zur Umsetzung der Energiewende lange Zeit auf den Stromsektor konzentrierten, rücken nun zunehmend die Sektoren Wärme und Verkehr in den Blick. Damit verbunden ist auch die Erprobung und Weiterentwicklung technischer Verfahren zur Umwandlung von Strom in andere Energieformen sowie deren Nutzbarmachung in den anderen Sektoren. Die so genannte Sektorenkopplung verspricht neue Möglichkeiten zu Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien (EE) im gesamten Energiesystem.

Das IKEM – Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität setzt sich in zahlreichen Forschungsvorhaben (unter anderem Kopernikus ENavi und WindNODE) mit dieser Thematik auseinander und nutzte die Gelegenheit, die dabei gewonnenen Erkenntnisse auf verschiedenen Events (z.B. die IKEM-Jahrestagung 2017) mit weiteren Experten und Praktikern zu diskutieren. Im Mittelpunkt standen dabei regulatorische Handlungsfelder zur Etablierung der Sektorenkopplung sowohl als Option der Netz- und Marktintegration von EE-Strom als auch zur Weiterentwicklung der Stromwende hin zur Energiewende.

Aus Sicht des IKEM und in Übereinstimmung mit den Diskussionsergebnissen sollte Sektorenkopplung möglichst regional sowie auf Verteilernetzebene und Förderunabhängig zum Einsatz kommen. Um dies zu erreichen sind regulatorische Anpassungen in drei Handlungsfeldern vorzunehmen. Diese Handlungsfelder sind selbstverständlich über Wechselwirkungen eng miteinander verbunden, werden jedoch der Übersicht halber im Folgenden getrennt dargestellt.

1. Systemverantwortung auf Verteilernetzebene

Zum regionalen Einsatz von Sektorenkopplungsinstrumenten sollten Verteilernetzbetreiber verstärkt in die Systemverantwortung einbezogen werden. Das bedeutet, sie sollten durch die Entscheidungsmöglichkeit über die Zuschaltung von Sektorenkopplungsinstrumenten, Erzeugung und Last auf Verteilernetzebene besser in Ausgleich bringen. Dabei sollte die Wahl des Sektorenkopplungsinstruments technologieneutral erfolgen und möglichst diskriminierungsfrei sowie transparent ausgeschrieben werden.

  • Im EU-Winterpaket wird eine Art Entso-E (Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber) für Verteilernetzbetreiber (VNB) angedacht. Diese Entwicklung kann unterstützt werden und dabei insbesondere darauf geachtet werden, dass auch nicht entflochtene Netzbetreiber partizipieren dürfen. Hierdurch können die (Systemverantwortungs-)Interessen der VNB besser zur Geltung kommen. Zudem deutet sich im EU-Winterpaket an, dass Verteilernetze aus Sicht der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) wie Kraftwerke gehandhabt werden dürfen, also lediglich eine Regelungsaufforderung bekommen, die Regelung von Erzeugung und Verbrauch dann aber selbst verantworten können.
  • Auf EU-Ebene wurden die Grid-Codes und Network-Codes überarbeitet und werden derzeit in deutsche Regelungen (zum Beispiel Technische Anschlussbedingungen nach § 49 EnWG) umgesetzt. Sie regeln unter anderem, wie die Schwarzstartfähigkeit organisiert wird und welchen Bedingungen der Anschluss des Verteilernetzes an das Übertragungsnetz unterliegen kann. Hier können Voraussetzungen zur stärkeren Systemverantwortung der VNB gut untergebracht werden.
  • Des Weiteren werden derzeit bzw. absehbar Verordnungen nach § 14a EnWG zu steuerbaren Verbrauchseinrichtungen auf Verteilernetzebene und nach § 13 Abs. 6a EnWG i. V. m. § 13i EnWG zu zuschaltbaren Lasten entwickelt. Hier könnte eine stärkere Systemverantwortung der VNB und die Möglichkeit, Sektorenkopplungsinstrumente auf Verteilnetzebene im Rahmen des Netzmanagements einzusetzen, eingebracht werden.

2. Weitergabe der „grünen“ Eigenschaft des EE-Stroms

Zur Sektorenkopplung gehört auch, dass nicht „grauer“ Strom in die Sektoren Wärme und Verkehr gebracht wird, sondern EE-Strom. Zur Erreichung der Energiewendeziele und damit letztlich der Dekarbonisierungsziele in diesen Sektoren genügt es nicht, im Rahmen der Stromrechnung sektorengekoppelten Strom als EE-Strom auszuweisen. Vielmehr sollte die „grüne“ Eigenschaft auch in den anderen Sektoren „genutzt“ werden können, beispielsweise bei der Ermittlung der EE-Quote im Rahmen der Nutzungspflichten des EEWärmeG oder bei der Ermittlung des Primärenergiefaktors für Wärme im Rahmen der EnEV. Damit hier keine Beliebigkeit und womöglich ein parallel zur Strombörse stattfindender deutschland-oder europaweiter Handel erfolgt, sollten hierfür regionale Handelsbeziehungen als Anknüpfungspunkt dienen. Herkunftsnachweise und Regionalnachweise scheiden insoweit aus. Sie erlauben nicht, die „grüne“ Eigenschaft weiterzugeben. Zudem sind Herkunftsnachweise europaweit handelbar. Durch die Weitergabe der „grünen“ Eigenschaft könnten Geschäftsmodelle der Sektorenkopplung befördert werden und dazu führen, dass EE-Anlagen außerhalb des EEG rentabel betrieben werden können. So könnte zu einer Reduzierung der EEG-Förderkosten beigetragen werden.

  • Strommengen, die Sektorenkopplungsanlagen netz-, system- oder marktdienlich in Anlehnung an § 27a EEG 2017 beziehen, sollten als sog. Überschussstrom „grün“ bewertet werden. Hintergrund ist, dass sich in diesen Zeiten weit überwiegend EE-Strom „in den Netzen“ befinden dürfte (in Anlehnung an die Begriffsbestimmung zu Biogas i. S. d. § 3 Nr. 10c EnWG könnte vom Vorliegen weit überwiegenden EE-Stroms bei einer EE-Quote von 80 % ausgegangen werden). Dieser Gedanke kann bei allen Verordnungen, die sich mit dem systemdienlichen Zuschalten von Lasten befassen, eingebracht werden.
  • Zur Berücksichtigung regionaler Aspekte könnte der Gedanke der Regionalnachweise aufgegriffen und auf sortenreine Bilanzkreise vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EEG 2017 gestützt werden. In diesem Sinne sollte die „grüne“ Eigenschaft des EE-Stroms an die Letztverbraucher weitergeben werden dürfen, wenn der Strom über einen sortenreinen EE-Bilanzkreis bezogen wird und die darin bewirtschafteten EE-Anlagen sich im regionalen Umkreis des Letztverbrauchers befinden (beispielsweise 50-Kilometer-Radius). Dies kann mit den nachfolgenden Vorschlägen verknüpft werden, so dass dieser Gedanke zumindest dann Anwendung finden sollte, wenn Strom aus EE-Anlagen gehandelt wird, die keine EEG-Förderung beziehen.

3. Reform des Abgaben- und Umlagesystems unter Berücksichtigung nicht geförderten EE-Stroms

Zur Entstehung von Geschäftsmodellen zur Sektorenkopplung könnte auch eine Reform des Abgaben- und Umlagesystems beitragen. Denkbare wäre eine grundlegende Reform, etwa die Senkung der EEG-Umlage über die Einrichtung eines Fonds, die Ersetzung durch eine CO2-Steuer oder die Erstreckung der Umlage auf sämtliche Energieverbraucher. Bei Beibehaltung des derzeitigen differenzierten Systems bietet es sich an, jedenfalls eine Reduktion der Abgabe- und Umlagepflicht zu forcieren.

  • Sektorenkopplung wird nach dem Verständnis der EU im Winterpaket ähnlich wie Batteriespeicherung von Strom als eine Flexibilisierungsoption betrachtet. Daran anknüpfend könnte eine Abgaben- und Umlagebefreiung damit begründet werden, dass es sich bei der Sektorenkopplung nicht um Letztverbrauch handelt. Dies wird auch schon in § 118 Abs. 6 S. 7 EnWG sowie der SINTEG-V deutlich und könnte als Grundsatz sowohl im EnWG als auch im EEG verankert werden.
  • Zudem könnte eine Abgaben- und Umlagereduktion für die EE-Strommengen eingeführt werden, die in EE-Anlagen erzeugt werden und noch einen EEG-Förderanspruch haben, auf diesen aber verzichten. Für EE-Anlagen, die aus der zwanzigjährigen EEG-Förderung laufen, aber dennoch weiterbetrieben werden sollen, kommt dies ebenfalls in Betracht. Gerade der letzte Fall wird in der nächsten Legislaturperiode entscheidend, da ab 2021 ca. 4,5 GW Windkraft aus der Förderung laufen und anschließend pro Jahr etwa 2,5 GW (laut Prognose der Deutschen Windguard). Um hier einen starken Rückbau und damit einer Gefährdung der Energiewendeziele vorzubeugen, brauchen diese Anlagen Vermarktungsoptionen, die über die Strombörse hinausgehen. Diese erhalten sie, wenn die Betreiber den Strom ohne Abgaben- und Umlagebelastung veräußern können und zudem womöglich die „grüne“ Eigenschaft weitergeben können (siehe vorangegangenes Handlungsfeld).

Kontakt:
Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM)
Simon Schäfer-Stradowsky
Tel.: 030 408 1870-10
E-Mail: simon.schaefer-stradowsky@ikem.de

 

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Dr Simon Schäfer-StradowskyQuelle: IKEM/Jule Halsinger

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