Der Anteil Erneuerbarer Energien im Verkehrssektor stagniert seit Jahren auf niedrigem Niveau. Die Sektorenkopplung, also technische Verfahren zur Nutzbarmachung von Strom im Verkehr, verspricht neue Möglichkeiten zur Substitution fossiler Energieträger. Um Sektorenkopplungsmaßnahmen im Energiesystem zu verankern und wirtschaftlich zu betreiben, müssen jedoch geeignete rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Erneuerbare Energien im Verkehrssektor
Nachdem sich die Bestrebungen zur Energiewende lange auf den Stromsektor konzentrierten, rückt nun auch der Verkehr in den Fokus. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (2009/28/EG) schreibt den Mitgliedsstaaten vor, dass der Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen bei allen Verkehrsträgern im Jahr 2020 mindestens 10 Prozent des nationalen Endenergieverbrauchs im Verkehrssektor betragen muss. Im ersten Halbjahr 2016 betrug der Anteil Erneuerbarer Energien (EE) in diesem Sektor lediglich 5,4 Prozent.
Dieser Anteil besteht derzeit zu 89 Prozent aus Biokraftstoffen (Biodiesel, Bioethanol und Biomethan), deren weitere Verbreitung durch die eingeschränkte Verfügbarkeit von nutzbarer Biomasse in Deutschland begrenzt wird. Deshalb müssen bestimmte Mengen von Biokraftstoffen importiert werden. Genaue Zahlen zur Importquote im Bereich der energetischen Verwertung liegen nicht vor; eine Studie der Leopoldina geht davon aus, dass rund 30 Prozent aller in Deutschland genutzten Biomasse und Biomasseprodukte importiert werden.
Sektorenkopplung: Stromüberschüsse für den Verkehr nutzbar machen
Zur Steigerung des EE-Anteils im Verkehrssektor und im Sinne einer größeren Unabhängigkeit von Energieimporten sind, neben Maßnahmen der Energieeffizienz, neue Wege zu gehen und den Verkehrs- mit dem Stromsektor zu koppeln: Der Bedarf wurde dort bereits zu knapp einem Drittel durch Erneuerbare gedeckt, die zum größten Teil in deutschen Anlagen erzeugt wurden. Bei entsprechender Wetterlage produzieren Windkraft- und Photovoltaikanlagen bereits heute so viel Strom, dass es zu Netzüberlastungen und der zwangsweisen Abschaltung von EE-Anlagen kommen kann. Durch den geplanten Ausbau der Erzeugungskapazität häufen sich die Überangebote an Erneuerbarem Strom, die wiederum Potentiale zur Nutzung im Verkehrssektor bieten. Beispiele hierfür sind die Wasserstoff-Synthese mit anschließender Nutzung als Biokraftstoff (Power-to-Gas) sowie Elektromobilität und insbesondere das gesteuerte Laden von Elektroautos (Power-to-Mobility).
Die Sektorenkopplung verspricht die Zusammenführung von Energieproduktion- und nachfrage (Flexibilisierung) sowie die Substitution fossiler Energieträger durch regenerativen Strom. Gleichzeitig wird bei einer konsequenten Umsetzung der Gesamtstrombedarf auf etwa das Doppelte steigen. Damit dies gelingen kann, muss nicht nur die EE-Erzeugungskapazität massiv ausgebaut werden; der Gesetzgeber muss geeignete rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, damit die Sektorenkopplungsmaßnahmen im Energiesystem verankert und wirtschaftlich betrieben werden können. Dies schafft zusätzliche Anreize für Investitionen und Forschungsanstrengungen zur Optimierung der Verfahren.
Eine CO2-Steuer könnte die Sektorenkopplung stärken
Eine recht einfache Möglichkeit zur umfassenden Stärkung des Klimaschutzes im Allgemeinen und der Sektorenkopplung im Speziellen wäre der Verzicht auf die aktuell erhobenen Energieverbrauchssteuern – ihnen wird ohnehin eine geringe Steuerungswirkung attestiert. Stattdessen könnte, ergänzend zum bestehenden Emissionshandel (ETS), eine Steuer auf Treibhausgasemissionen eingeführt werden. Dadurch würden externe Kosten wie Gesundheitsschäden oder die Folgen des Klimawandels durch die höheren Energiepreise für fossile Brennstoffe wiedergespiegelt und erneuerbare Energiequellen besonders attraktiv gemacht. Die so genannte CO2-Steuer würde das wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Interesse an der Umstellung und Optimierung des Energiesystems steigern und damit starke Anreize zur effizienten Energieverwendung durch Sektorenkopplung setzen.
CO2-Steuern wurden in unterschiedlichen Formen seit den 1990er-Jahren in mehreren Staaten eingeführt. Das Beispiel Dänemark zeigt, dass eine solche Steuer nachhaltig zur Reduktion von Emissionen beitragen kann, ohne, wie oft kritisiert wird, das Wirtschaftswachstum zu bremsen. Obwohl sie von zahlreichen Experten und Politikern gefordert wird, scheint eine Einführung der CO2-Steuer in Deutschland jedoch momentan nicht mehrheitsfähig. Um trotzdem mit der Sektorenkopplung voranzukommen, können auch weniger umfassende rechtliche Veränderungen hilfreich sein.
Stromseitige Anreizsetzung: System- und netzdienlichen Verbrauch begünstigen
Zentrales Problem für die meisten Sektorenkopplungsverfahren ist die häufig noch geringe Wirtschaftlichkeit. Diese basiert in Teilen auf hohen Entwicklungs- und Investitionskosten, aber auch auf den rechtlichen Rahmenbedingungen für den Stromverbrauch. Durch die staatlichen Verbrauchsabgaben (Netzentgelte, die EEG-Umlage und Stromsteuern) entstehen den Betreibern finanzielle Belastungen. Dadurch ist Strom im Vergleich mit anderen Einsatzstoffen wie Erdgas oder Kohle nicht konkurrenzfähig, obwohl durch die Nutzung erneuerbarer Energien eine Klimaschutzwirkung besteht. Rechtlich und finanziell wird außerdem nicht ausreichend gewürdigt, dass Sektorenkopplungsmaßnahmen die Effizienz des Energiesystems steigern (Systemdienlichkeit), Belastungen der Netze vermeiden und den Netzausbaubedarf reduzieren können (Netzdienlichkeit).
Ideal wäre deshalb eine technologieoffene Befreiung von staatlich veranlassten Strompreisbestandteilen für Sektorenkopplungsanlagen mit system- bzw. netzdienlichem Verhalten. Dadurch könnte etwa der Strombezug von Elektroautos oder einer Anlage zur Wasserstoffsynthese mit Weiternutzung im Verkehrsbereich (Power-to-Gas) nennenswert günstiger werden. Andere Maßnahmen wären:
- Entfristung der aktuell 20-jährigen Netzentgeltbefreiung für Energiespeicher, z. B. Power-to-Gas-Anlagen und Batterien für Elektroautos (§ 118 Abs. 6 S. 1, 7 u. 8 EnWG).
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- Ausdehnung der Netzentgeltreduzierungsmöglichkeit für extern gesteuerte Verbraucher im Niederspannungsbereich auf höhere Spannungsebenen mit Ausnahme der Höchstspannungsebene (§ 14a EnWG)
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- Speicheranlagen sind nur von der EEG-Umlage befreit, wenn die Energie rückverstromt wird (§ 61k EEG 2017). Diese Abhängigkeit wäre beispielsweise zu Gunsten von Batterien für Elektroautos aufzuheben.
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Ein Instrument zur Sicherung der Netzstabilität ist die Regelenergie, also die kurzfristig zuschaltbare Erzeugung (positiv) bzw. Abnahme (negativ) von Strom. Die Sektorenkopplung eignet sich vor allem für die Teilnahme am negativen Regelenergiemarkt, jedoch sind zum Beispiel mit Batterien von Elektroautos auch Anwendungen wie „Vehicle-to-Grid“ denkbar. In jedem Fall müssen hierfür technische Voraussetzungen, die so genannten Präqualifikationsvoraussetzungen, gegeben sein. Da die aktuell gültigen Voraussetzungen insbesondere für kleinere Anlagen schwer zu erfüllen sind, wären hier Anpassungen vorzunehmen. Die Bundesnetzagentur plant bereits entsprechende Schritte.
Um für Klarheit im Energiemarkt zu sorgen, könnte der Gesetzgeber außerdem ein Verfahren zur Zertifizierung system- bzw. netzdienlichen Stroms schaffen. Dadurch könnte der Strom auch als „grün“ deklariert werden (s.u.). Die Qualifizierung des Stroms und die Ausstellung der Zertifikate könnten zum Beispiel durch den jeweiligen Netzbetreiber erfolgen.
Produktbezogene Anreizsetzung: Vermarktung attraktiver gestalten
Ähnlich wie die Qualifizierung des für die Sektorenkopplung verwendeten Stroms ist auch die Zertifizierung der dabei entstehenden Energieprodukte wie etwa Wasserstoff für die Vermarktung entscheidend. Aktuell können diese nicht als „grün“ deklariert werden, da sie den Strom direkt aus dem Netz beziehen und ein Herkunftsnachweis somit nicht möglich ist („Graustrom“). Die Möglichkeit der Grünstromdeklarierung bei Verwendung von erneuerbarem Überschussstrom sollte deshalb rechtlich festgeschrieben werden. Dies könnte für Wasserstoffgas in den Begriffsbestimmungen des EEG (§§ 3 Nr. 42, 19 Abs. 3, 44b Abs. 5 EEG 2017) erfolgen. Gas aus netzdienlichen Anlagen sollte im Gegensatz zu der aktuellen Regelung (§ 3 Nr. 10c EnWG) als Biogas anerkannt werden.
Unter Nutzung von EE hergestellter Wasserstoff bzw. darauf basierendes synthetisches Methan könnte über die Erdgasinfrastruktur prinzipiell großflächigen Einsatz im Verkehr finden und gleichzeitig zur Treibhausgasminderung beitragen. Ohnehin besteht im Verkehrssektor seit 2015 die gesetzliche Verpflichtung, den Treibhausgasausstoß des genutzten Kraftstoffs um 3,5 Prozent pro Jahr zu senken. Dieser Wert ist zu Beginn des Jahres 2017 auf 4 Prozent gestiegen (§ 37a Abs. 4 BImSchG). Momentan ist jedoch nicht geregelt, wie die Sektorenkopplungsprodukte auf die Treibhausgasminderungsquote anzurechnen sind. Im Referentenwurf zur 37. Bundes-Immissionsschutzverordnung waren erstmals Emissionswerte und Effizienzfaktoren für Brennstofffahrzeuge und synthetisches Methan angelegt. Die Verordnung ist aber bisher nicht in Kraft getreten.
Elektromobilität als zentraler Baustein der Verkehrswende
Der Nachteil von Power-to-Gas ist der hohe Energieverlust beim Umwandlungsverfahren. Experten gehen daher davon aus, dass auch der Verkehrssektor so weit wie möglich elektrifiziert werden muss. Die Verbreitung von Elektroautos ist jedoch momentan durch geringe Anreize und fehlende (Lade-)Infrastruktur erschwert. Zur Förderung von Elektrofahrzeugen gab es bereits Gesetzesinitiativen: Das Elektromobilitätsgesetz (EmoG) regelt die Möglichkeit der Bevorrechtigung von Elektrofahrzeugen beim Parken. Die Ladesäulenverordnung (LSV) definiert die technischen Standards für die Lade-Schnittstellen.
Die begrenzte Verbreitung von Elektromobilität hängt jedoch auch damit zusammen, dass die Verbindung zwischen Ladeinfrastruktur und Auto bzw. zwischen Ladesäulenbetreiber und Kunde vom geltenden Energie(wirtschafts)recht derzeit nicht oder nur teilweise abgedeckt ist. Ladesäulen für Elektroautos sind im rechtlichen Sinne „Letztverbraucher“ und damit zur Zahlung der üblichen Abgaben verpflichtet. Die finanziellen Belastungen für den Einsatzstoff Strom sind mit dafür verantwortlich, dass Elektromobilität gegenüber Verbrennungsmotoren derzeit weniger attraktiv ist. Gleiches gilt für Sektorenkopplungsmaßnahmen wie etwa das gesteuerte Laden von Elektroautos als Teil des Regelenergiemarktes.
Um die Nutzung von Elektromobilität im Allgemeinen und speziellen Sektorenkopplungsmaßnahmen attraktiver zu gestalten, müsste das EmoG erheblich ausgebaut oder ein separates Gesetz für den Ladeinfrastrukturbetrieb geschaffen werden. Darin wären insbesondere die Rollen- und Vertragsverhältnisse zwischen Anbietern und Kunden sowie kartellrechtliche Fragen wie der diskriminierungsfreie Zugang zu Ladesäulen zu regeln. Weitere Bausteine auf dem Weg zu mehr Elektromobilität sind kommunale Verkehrskonzepte, die Einführung einer der Ladepunktpflicht in den Landesbauordnungen sowie verbesserte Rechte für Mieter und Wohnungseigentümer, die Ladeinfrastruktur errichten möchten.
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Autoren:
Simon Schäfer-Stradowsky / Dennis Nill
Tel. +49 (0)30 408 18 7010
simon.schaefer-stradowsky@ikem.de / dennis.nill@ikem.de
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Dieser Artikel erschien zunächst als Teil des Dossiers “Baustelle Energiewende” der Heinrich-Böll-Stiftung.
Das IKEM widmete seine Jahrestagung 2017 dem Thema Sektorenkopplung.
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