Die EU-Klimapolitik war, gemessen an den eignen Zielvorgaben, auf einem guten Weg. Dieses Bild wird jedoch von aktuellen Aussagen des deutschen Umweltstaatssekretärs Jochen Flasbarth getrübt, wonach Deutschland die Zielvorgaben zur Treibhausgasreduktion für 2020 nicht erreichen wird und Emissionszuweisungen einkaufen muss. Die Verfehlungen des ehemaligen Vorreiters und größten Emittenten der EU rücken damit ein Verfahren in den Blick, welches aufgrund seiner Intransparenz dringend reformiert werden sollte.
Ein erklärter Meilenstein der EU-Klimapolitik ist es bis zum Jahr 2020 zwanzig Prozent weniger Treibhausgase als 1990 auszustoßen, einen Anteil von zwanzig Prozent an erneuerbaren Energien bei der Stromversorgung zu erreichen und die Energieeffizienz um zwanzig Prozent zu steigern. Insgesamt gesehen ist die aktuelle Bilanz in Bezug auf die 2020-Ziele relativ positiv: Laut einem aktuellen Bericht[1] der European Environment Agency (EEA) vom November 2017 sind die Treibhausgasemissionen bereits 2014 unter das Reduktionsziel von 20 Prozent gesunken und der Anteil erneuerbarer Energien stetig gewachsen. Dieser betrug 2015 fast 17 Prozent. Lediglich bei der Energieeffizienz haben sich die Werte zuletzt leicht verschlechtert, weswegen die EEA größere Anstrengungen anmahnt.
Ungeachtet der EU-weit positiven Tendenz, dürfen zwei Entwicklungen nicht außer Acht gelassen werden: Einerseits ergab sich ein großer Teil der Erfolge nicht aus effizienten Klimaschutzmaßnahmen sondern den Folgen der Wirtschaftskrise ab 2008 und andererseits trüben die Leistungen einzelner Mitgliedsstaaten das Gesamtbild: Während die meisten Mitgliedsstaaten ihren Beitrag zu den Klimaschutzzielen erfüllen, scheint Deutschland als größter Treibhausgasemittent der EU ins Hintertreffen zu geraten. Ende 2017 räumte das Bundesumweltministerium ein, dass die nationalen Ziele für die Reduzierung klimaschädlicher Emissionen bis 2020 nicht erreicht werden können.[2] Wie im Januar 2018 bekannt wurde, kann Deutschland auch die innerhalb der EU für diesen Zeitpunkt vereinbarten Treibhausgas-Reduktionsziele offenbar nicht einhalten und muss die Verfehlung durch Einkauf von Emissionsrechten aus anderen EU-Staaten ausgleichen.[3]
Hintergrund: Auf zwei Wegen zu weniger Emissionen
Zur Erklärung dieser Entwicklung muss zunächst auf die Grundlagen der europäischen Strategie zur Emissionsreduktion verwiesen werden, die auf zwei unterschiedlichen Konzepten basiert: Für rund 11.000 Industrie- und Stromerzeugungsanlagen werden Zertifikate ausgegeben, die im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems (EU ETS) zwischen den Emittenten (z.B. Unternehmen, Kraftwerksbetreiber, etc.) frei gehandelt werden können. Um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verteuern und Effizienzmaßnahmen anzuregen soll die Anzahl der ausgegebenen Zertifikate kontinuierlich reduziert und ihre Vergabe anhand von Benchmarks geregelt werden. Obwohl das EU ETS das weltweit größte System für den Handel mit Treibhausgasemissionen ist, wird der größte Teil der europäischen Treibhausgasemissionen jedoch nicht vom Emissionshandel abgedeckt, da die Sektoren Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude und Entsorgung nicht Teil des EU ETS (Non EU ETS) sind.
Für diesen zweiten Bereich haben sich die Mitgliedsstaaten in der Lastenverteilungsentscheidung[4] (ESD) auf gesonderte Ziele geeignet, die EU-weit zu einer Reduktion von rund zehn Prozent bis 2020 (Basisjahr 2005) führen sollen. Um den unterschiedlichen ökonomischen Gegebenheiten der Mitgliedsstaaten Rechnung zu tragen, wurden jedem Land für den Zeitraum 2013-2020 jährliche Emissionszuweisungen (AEAs) zugestanden. Die AEAs beziehen sich dabei nicht auf individuelle Emittenten wie beim EU ETs sondern auf die Gesamtemissionen eines Mitgliedsstaates. Die Umsetzung entsprechender Maßnahmen liegt also in der Zuständigkeit der nationalen Regierungen.
Für Deutschland bedeutete die ESD die Verpflichtung, die nationalen Treibhausgasemissionen insgesamt um vierzehn Prozent zu reduzieren. Irland und Luxemburg verpflichteten sich sogar zu einer Verringerung um insgesamt 20 Prozent. Zwölf Mitgliedsstaaten haben gemäß der ESD die Möglichkeit, ihre Emissionen gegenüber 2005 zu steigern – Bulgarien etwa um bis zu 20 Prozent. Bei der Erreichung der jeweiligen Vorgaben haben die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, Zielverfehlungen durch Überschüsse aus vorangegangenen Jahren[5] oder durch Handel mit anderen Mitgliedsstaaten auszugleichen. Hierfür sind neben Obergrenzen von fünf Prozent der AEAs keine weiteren Vorgaben enthalten.[6] Darüber hinaus können sie eine begrenzte Menge internationaler Emissionsgutschriften aus dem Clean Development Mechanism (CDM) einsetzen.
Auch wenn die EEA noch im November 2017 davon ausging, dass Deutschland seine Reduktionsziele durch Überschüsse aus anderen Jahren ausgleichen kann, scheint dies nach neueren Informationen für die kommenden Jahre nicht mehr der Fall zu sein. Offenbar bleibt der Bundesregierung nur noch die Möglichkeit, Emissionszuweisungen aus anderen EU-Staaten einzukaufen. Dies tut bisher nur Malta, das hierzu eine bilaterale Vereinbarung mit Bulgarien getroffen hat. Über den Kaufpreis und den Inhalt der Vereinbarung, insbesondere in welche Projekte die Mittel aus Malta fließen, geben die beiden Regierungen keine Auskunft.[7] Eine Vermittlung durch die Institutionen der EU fand nicht statt und ist auch für die Verhandlungen Deutschlands mit potentiellen Verkäufern nicht vorgesehen. Die Mitgliedsstaaten sind lediglich verpflichtet, die Übertragung bei der EU-Kommission zu melden.[8]
IKEM-Stellungnahme: Mehr Anstrengungen auf nationaler Ebene, transparentere Verfahren auf EU-Ebene
Die Festlegung der 2020-Ziele der EU und die Maßnahmen der Mitgliedsstaaten waren nie besonders ambitioniert. Letztlich konnten sich die Gesamtheit der EU-Staaten insbesondere bei den Treibhausgasemissionen auf dem erreichten Ziel ausruhen. Dies verschleierte, dass große Emittenten wie Deutschland eben nicht so erfolgreich waren und nun auf einen intransparenten zwischenstaatlichen Emissionshandel zurückgreifen müssen. Deutschland ist zwar erfolgreich bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen, hat diese Vorreiterrolle jedoch nicht in Fortschritte im Verkehrssektor und anderen von der ESD abgedeckten Bereichen überführen können. Damit Deutschland seinen Zusagen zukünftig nachkommen kann, sollte die Bundesregierung neben zahlreichen anderen Maßnahmen vermehrt Anstrengungen im Bereich der Sektorenkopplung (z.B. Elektromobilität, Power-to-Gas, etc.) unternehmen.
Derzeit wird ein Vorschlag[9] der EU-Regierungschefs für das Lastenverteilungsverfahren im Zeitraum 2021-2030 diskutiert: Die darin enthaltenen Maßnahmen scheinen nicht nur unzureichend, um die selbstgesteckte 30-Prozent-Reduktion zu erreichen,[10] auch die problematische Möglichkeit der Übertragung von Emissionszuweisungen wurde beibehalten. Zuletzt wurde dieser im Europäischen Parlament erörtert und mit Änderungsvorschlägen an den zuständigen Ausschuss zurückverwiesen. Zwar mahnte das Parlament Verbesserungen hinsichtlich der Reduktionsvorgaben für die Mitgliedsstaaten an. Der Spielraum für den AEA-Handel wurde jedoch durch Verdopplung der Fünf-Prozent-Grenze sogar noch ausgeweitet.[11]
Das jetzt laufende Entscheidungsverfahren sollte genutzt werden, um das Übertragungsverfahren transparenter und gerechter zu gestalten: Die Mitgliedsstaaten sollten zum einen verpflichtet werden, Einzelheiten zu den jeweiligen Vereinbarungen – etwa Menge und Preis der übertragenen Emissionszuweisungen – zu veröffentlichen. Zum anderen sollte der Verhandlungsprozess in Zukunft unter Vermittlung durch die Kommission oder eine andere EU-Institution stattfinden. Auf diese Weise könnten die möglichen Auswirkungen von (wirtschaftlichen) Machtgefällen innerhalb der EU ausgeglichen werden.
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Verweise
[1] European Environment Agency (2017): Trends and projections in Europe 2017 – Tracking progress towards Europe’s climate and energy targets. EEA Report No 17/2017. (Download).
[2] sueddeutsche.de.
[3] tagesspiegel.de.
[4] Entscheidung Nr. 406/2009/EG.
[5] Artikel 3 (2), Entscheidung Nr. 406/2009/EG.
[6] Artikel 3 (4, 5), Entscheidung Nr. 406/2009/EG.
[7] timesofmalta.com.
[8] Erwägungsgrund Nr. 10, Entscheidung Nr. 406/2009/EG.
[9] Procedure 2016/0231/COD: COM (2016) 482.
[10] Graichen, Jakob / Jörß, Wolfram (2017): Does the Effort Sharing Regulation require sufficient emission reductions to meet the EU 2030 target? Oeko-Institut Working Paper 7/2017. (Download).
[11] europarl.europa.eu.
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