Die IKEM-Jahrestagung am 18. September widmete sich dem Ausbau der Offshore-Windkraft und Projekten zur Erzeugung von grünem Wasserstoff im Ostseeraum. Ziel der Tagung war es, die nationalen Strategien der Ostseeländer zu beleuchten und Wege für eine stärkere Zusammenarbeit zu identifizieren. Prof. Dr. Michael Rodi, IKEM-Direktor und Sprecher des Clusters „Energie“ am Interdisziplinären Forschungszentrum Ostseeraum (IFZO) der Universität Greifswald, ist Experte für Fragen der internationalen Kooperation im Energiebereich. Im Interview spricht er über die Verflechtung nationaler Energiesysteme, den Schutz kritischer Infrastrukturen und die wachsende Bedeutung der Rechtsvergleichung für effektiven Klimaschutz.
Die diesjährige IKEM-Jahrestagung befasste sich mit Offshore-Windkraft und grünen Wasserstoff im Ostseeraum. Warum wurde dieser Fokus gewählt?
Das IKEM ist ein An-Institut der Universität Greifswald und hat sich deshalb seit jeher intensiv mit der Energiewende im Ostseeraum und dabei ganz besonders auch mit Fragen der Offshore-Windenergie beschäftigt – etwa in den Vorhaben Baltic InteGrid und BOWE2X. Mit BOWE2H kommt nunmehr ein weiteres Flaggschiff-Projekt zur transnationalen Energiezusammenarbeit im Ostseeraum zum Abschluss. Zudem forschen wir am IKEM im Rahmen des Clusters Energiepolitik des IFZO zu diesen Fragen und wollten auch diese Ergebnisse einem breiteren Publikum in Berlin vorstellen.
Welche Bedeutung hat transnationale Zusammenarbeit im Energiesektor und beim Klimaschutz?
Der Klimaschutz ist per se eine internationale Herausforderung, weil alle Länder davon betroffen sind, unabhängig davon, wo die Treibhausgase entstehen. Sie kann deshalb auch nur gemeinsam bewältigt werden. Die Energietransformation ist der wichtigste Bereich auf dem Weg in eine klimaneutrale Welt. Nationale Energiesysteme waren schon immer miteinander verflochten. Durch den Fokus auf Erneuerbare Energien und die Entwicklung einer internationalen Wasserstoffwirtschaft wird sich dies weiter verstärken. Die Europäischen Union hat darauf mit dem Aufbau und der Stärkung einer Energieunion reagiert. Die Zusammenarbeit im Energiesektor muss aber auch weltweit verstärkt werden, etwa bei der Bereitstellung der für die Energiewende erforderlichen Rohstoffe sowie der Entwicklung einer weltumspannenden Wasserstoffwirtschaft.
Welcher Rechtsrahmen ist dafür erforderlich?
Bilaterale Abkommen im Energiebereich, wie sie auch von Deutschland bereits abgeschlossen worden sind, können eine Grundlage bilden, werden aber nicht mehr ausreichen, um die gewaltigen Herausforderungen der Energietransformation zu lösen. In Europa können wir uns glücklich schätzen, dass die Europäische Union gute Voraussetzungen für eine gemeinsame Energiepolitik hat und diese auch zunehmend kraftvoll nutzt. Darüber hinaus brauchen wir in diesem Bereich dringend neue multilaterale Abkommen. Mit guten Gründen hat die EU die Energiecharta verlassen, die bisher transnationale fossile Energieinvestitionen absicherte. Nun brauchen wir einen Ersatz, der zu den Herausforderungen der Energiewende passt. Im Ostseeraum kann dabei an bestehende Strukturen wie den Ostseerat angeknüpft werden, so kann ein gemeinsamer Energieraum in und um die Ostsee entstehen.
Der Konflikt um Nord Stream und der Krieg in der Ukraine verdeutlichen die Interdependenzen zwischen Sicherheit, Energie und Klimaschutz. Wie müssen wir reagieren?
Der Angriff auf die Nord Stream-Pipeline – und übrigens auch eine Verbindungsleitung zwischen Estland und Norwegen – zeigen die Verwundbarkeit transnationaler Elemente des Energiesystems. Gleichzeitig werden Interkonnektoren, Pipelines und LNG-Terminals, die künftig für den Transport grünen Wasserstoffs genutzt werden, durch die Energietransformation weiter an Bedeutung gewinnen. Diese kritischen Infrastrukturen müssen gemeinsam besser geschützt werden. Innerhalb der Europäischen Union bildet sich dafür gerade ein Instrumentarium heraus., das in die richtige Richtung weist: Effektiver Schutz wird neben militärischem Schutz, der vertieften Kooperation von Staaten auch die Integration privater Akteure in komplexer werdende Schutzkonzepte erfordern.
Welche weiteren Forschungsbedarfe sehen Sie?
Die Energietransformation bedeutet nicht nur eine Revolution des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, sondern auch des dafür nötigen Rechts- und Politikrahmens. Angesichts des ehrgeizigen Ziels einer Treibhausgasneutralität bis Mitte dieses Jahrhunderts bleibt keine Zeit, dass jeder Staat seinen eigenen Weg entwickelt. Wir müssen daher vermehrt auf Rechtsvergleichung setzen und ununterbrochen analysieren, welche Instrumente andere Länder mit Erfolg entwickelt haben. Zusammen mit meinem Kollegen Johannes Saurer von der Universität Tübingen erarbeite ich grade ein Buch zum Vergleich des Rechts der Erneuerbaren Energien in Europa. Weitere solche Forschungsvorhaben werden folgen müssen, um nationalen Politiker:innen und Gesetzgeber:innen Grundlagen für ihre Arbeit am jeweiligen Rechts- und Politikrahmen an die Hand zu geben.