In einer neu eingerichteten Ethik-Kommission sollen die drängendsten Fragen automatisierter Fahrsysteme diskutiert und Leitlinien für deren Programmierung entwickelt werden. Das IKEM empfiehlt in einer Stellungnahme, dort auch die mit dem Einführungspfad verbunden Probleme der Rechtsgestaltung in den Mittelpunkt zu rücken.
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat jüngst eine Ethik-Kommission zum automatisierten Fahren eingerichtet, um Leitlinien für die Programmierung automatisierter Fahrsysteme zu entwickeln (zur Pressemitteilung des BMVI). In der öffentlich geführten Diskussion, die dieser Maßnahme voranging, standen häufig Situationen im Vordergrund, in denen ein autonom fahrendes Fahrzeug bei hoher Geschwindigkeit in kürzester Zeit schwierigste Situationen meistern muss. Das IKEM empfiehlt jedoch den Schwerpunkt der Arbeit auf die mit dem Einführungspfad verbunden Probleme der Rechtsgestaltung zu setzen, denn bereits hier zeichnet sich ein rechtlicher Paradigmenwechsel ab, der auch ethische Dimensionen hat: Wie passen sich Maschinen um einen bisher von menschlichem Verhalten geprägten Verkehrsraum und einem dieses Verhalten leitenden Rechtsrahmen ein?
Teilautomatisierte und automatisierte Fahrzeuge haben in den vergangenen Jahren große technologische Fortschritte gemacht. Das langfristige technische Ziel stellt in dieser Richtung das autonome Fahren dar. Es wirft jedoch ganz neue rechtliche und im weiteren Sinne auch gesellschaftliche Problemstellungen auf. Diese zeichnen sich bereits beim hoch- und vollautomatisierten Fahren ab.
Fahrassistenzsysteme sind als unterste Stufe der Automatisierung der Fahrzeugtechnik längst im Straßenverkehr angekommen. Sie sorgten oft für Bewunderung und nur in den seltensten Fällen für juristische Diskussionen. Den nächsten Schritt in der Automatisierungstechnik stellt die Teilautomatisierung dar, bei der weiterhin eine dauerhafte Überwachung des Systems durch den Fahrer notwendig ist. Zwar funktionieren die entwickelten Systeme in den für sie definierten Bereichen überwiegend fehlerfrei, allerdings wird das lediglich zur Assistenz des Fahrers konzipierte System leicht überschätzt. Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen die sich hier stellenden juristischen Fragen insbesondere im Zusammenhang mit einen tödlichen Unfall eines teilautomatisieren Fahrzeugs der Firma Tesla, wozu das IKEM bereits eine Stellungnahme abgegeben hat (zur Stellungnahme). Ein neuerlicher Unfall eines Tesla-Fahrzeugs mit einem Reisebus auf der A24 zwischen Berlin und Hamburg (zum Spiegel-Artikel) hat erneut die Dringlichkeit der Fragen gezeigt, die sich dem Gesetzgeber auch hier stellen.
Während bei der Teilautomatisierung die Überschätzung der Fähigkeiten des Systems durch den Fahrer die wesentlichen rechtlichen Fragen aufwirft, muss in der Auseinandersetzung mit den folgenden Stufen der Automatisierung (hochautomatisiert, vollautomatisiert und autonom) das System selbst in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt werden. So ist bei hochautomatisierten Systemen eine dauerhafte Überwachung von Fahrzeug und Verkehr durch den Fahrer erstmals nicht mehr erforderlich; bei der Vollautomatisierung übernimmt das System die Fahrzeugführung in einem definierten Anwendungsfall vollständig und bewältigt alle damit verbundenen Situationen automatisch. Bei einem autonomen Fahrzeug soll der Fahrer in das Fahrgeschehen grundsätzlich überhaupt nicht mehr eingreifen. Die Stufe der Hochautomatisierung und alle höheren Automatisierungsstufen heben sich insofern deutlich von unteren Automatisierungsstufen ab, als hier das System bestimmungsgemäß zumindest teilweise ohne menschliche Kontrolle und damit autonom fährt, wohingegen die Aufgabe der Kontrolle des Systems und Unaufmerksamkeit im Verkehr bei unteren Automatisierungsstufen letztlich als missbräuchliche Verwendung angesehen werden müssen. Zwar kann durch diese höhere Automatisierung menschliches Fehlverhalten des Fahrers als Ursache für Unfälle reduziert werden. Dagegen tritt nun die Frage in den Vordergrund, ob das System den gestellten Anforderungen gerecht wird, einerseits die geltenden Verkehrsregeln einzuhalten und andererseits mit dem nach wie vor menschlichen Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer in einem gemischten Verkehr zurecht zu kommen.
So fällt die Straßenverkehrsordnung (StVO) als gültiges Regelwerk für den Straßenverkehr unter den Begriff des Verhaltensrechts (eine Tautologie da jedes Recht nur menschliches Verhalten lenken soll und kann), wohingegen autonom fahrende Systeme sich nicht verhalten, sondern nur gemäß der Programmierung agieren. Daraus folgt, dass zukünftig die Zulassungsstelle für den Aktionsradius eines autonom fahrenden Fahrzeugs zuständig sein wird. Die Zulassungskriterien, die dabei für alle Systeme gültig sein müssen, haben sich nicht nur an der StVO zu orientieren, sondern müssen auch menschliches Verhalten im Straßenverkehr antizipieren. Menschliches Fehlverhalten, aber auch Antizipation, Kommunikation und das bewusste übergehen von Regeln und Gesetzen sind als Teil des Straßenverkehrs akzeptiert und oft auch gewünscht, um die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Ein streng an den gültigen Gesetzen und Verordnungen ausgerichtetes Fahrzeug würde im alltäglichen Straßenverkehr häufig ein Hemmnis darstellen und bei allen Sicherheitszuwächsen durch den Wegfall des Fehlverhaltes des Fahrers die Sicherheit sowie den Verkehrsfluss manchmal sogar negativ beeinträchtigen.
Entgegen einer häufig präsentierten Vision des autonomen Fahrens wird Verkehr nämlich außerhalb der Städte auf absehbare Zeit und innerhalb der Städte hoffentlich für immer ein gemischter Verkehr mit menschlichen Verkehrsteilnehmern bleiben. Daher muss insbesondre die Reaktion der menschlichen Verkehrsteilnehmer und ihre Interaktion mit den autonomen Systemen diskutiert werden. Ein auf Unfallvermeidung programmiertes Fahrzeug könnte beispielsweise eine Aushöhlung der Vorfahrtsregeln zur Folge haben oder nahes Auffahren und Drängeln begünstigen, da es Sach- und Personenschäden vermeidet und andere Verkehrsteilnehmer stattdessen passieren lässt. Ein autonomes Fahrzeug, das im Stadtverkehr niemals entgegen der Regeln der Straßenverkehrsordnung überholt wird häufiger die Ursache langer Staus werden, auf die wiederum menschliche Fahrer mit gefährlichen Regelverstößen reagieren könnten; etwa indem sie auch das autonome Fahrzeug überholen. Letztendlich gilt es auch zu klären inwieweit das hochautomatisierte oder autonome System berechtigt werden kann, eigenständig Entscheidungen zur Lösung von Dilemma-Situationen zu fällen und ab wann eine Leitstelle oder ein Operator zur Entscheidungsfindung herangezogen wird. Wie reagiert außerdem ein autonomes Fahrzeug auf einen selbst festgestellten Defekt seiner Systeme oder der sonstigen Fahrzeugtechnik? Zu beachten sind hier vor allem Fälle technischen Versagens oder nicht eindeutiger bzw. widersprüchlicher Input-Signale. Schon aus diesem Grund werden Verkehrsleitstellen, die im Konfliktfall weitere Programmabläufe der autonomen Fahrzeuge auslösen können, noch lange unentbehrlich sein: auch hier müssen Aktionsradius der Maschine und Verhalten des Menschen aufeinander abgestimmt und eingespielt werden.
Ansprechpartner:
Matthias Hartwig , Bereichsleiter Mobilität (IKEM)
Magazinstraße 15-16 , D-10179 Berlin
Tel. + 49 (0) 30- 408 18 7016
matthias.hartwig@ikem.de
Stellungnahme als PDF: Link